Ohne große Worte (drei Kapitel aus dem Leben des Pflegedienstes)

 

Im Juli 2017 vergingen drei Jahre, seitdem auf Segen des Beichtvaters des Klosters der Hl. Elisabeth, Erzpriester Andrej Lemeschonok, ein Pflegedienst eröffnet wurde.

Anna Kowalewskaja, die die letzten drei Jahre den Pflegedienst leitete, gemeinsam mit den anderen Freiwilligen, die den Weg dieses schweren Dienstes einschlugen, mussten vieles lernen. Und nicht nur in Minsk – für die notwendigen medizinischen Kenntnisse und speziellen Fertigkeiten besuchten sie Fachkurse in Moskau und St. Petersburg. Denn das Mitleidsgefühl allein reicht nicht aus! Jeder Tag am Bett eines Liegekranken ist eine Prüfung in Nächstenliebe und der Beständigkeit darin. Und Schönes gibt es da nicht vieles. Die Menschen, die in den Pflegedienst gekommen sind, waren bisher in ganz anderen Bereichen tätig. Unter ihnen gibt es Buchhalterinnen, Lehrerinnen, Kauffrauen, Psychologinnen, Mathematikerin, Radiophysikerin, Managerin, Choreographin, Konstrukteurin, Schlosser, Computertechniker und sogar eine Maniküre-Spezialistin. Jetzt verbindet sie eine gemeinsame Sache. Jede Woche treffen sie sich, um die aktuellen Fragen zu besprechen, Erfahrungen zu teilen und zu beten. Bei diesen Treffen hört man verschiedene Geschichten …  

Kapitel 1. „Sie werden zu einem Teil von dir …“

Elena: Jede benachteiligte Person nehme ich so wahr, als sehe ich die Benachteiligung nicht. Bei Aleksandr hat, zum Beispiel, eine Hand nach dem Schlaganfall zu funktionieren begonnen, und über die zweite vergisst er. Ich sage zu ihm: „Grüß Dich!“ Er streckt zu mir eine Hand aus. „Mit dieser Hand haben wir uns schon begrüßt, mich interessiert die zweite.“ – „Aber sie funktioniert doch nicht.“ – „Wer hat Ihnen das gesagt?“ Und bis er mir auch die andere Hand nicht gegeben hat, lasse ich nicht ab.

Natalija: Bevor wir irgendeine „Manipulation“ machen, sind wir verpflichtet, dies der betreuten Person zu sagen, sie darauf vorzubereiten und einzustellen. Es ist besser, sie anschließend zu loben und sich nicht klein oder hilflos fühlen zu lassen. D.h.  immer zu verstehen geben, dass der Mensch nicht aus der Reihe gefallen ist. Anderenfalls kann man alle Aktivitäten des Kranken zum Halt bringen, wenn wir alles für ihn tun.  

Ioanna: Hier ist Anna nach einem Schlaganfall. Ihre Familie war streng, ohne Zärtlichkeit. Aber wie sie diese nötig hat! Einmal, vor meinem Weggehen, kam in mir der Wunsch auf, sie zu berühren, nicht einfach so, zum Abschied. Sie saß im Sessel. Ich schaute in ihre Augen und hatte so ein Gefühl, als sähe ich meine Mutter. Ich sagte: „Darf ich heute Ihnen einen Kuss auf die Augen geben?“ Sie antwortete: „Selbstverständlich.“ Hob ihre vom Schlaganfall verletzte Hand und umarmte mich. Sie umarmt mich immer zum Abschied bevor ich weggehe. Es war ein Ausdruck von Zärtlichkeit – sie fühlte sich mit dem Herzen zu mir hingezogen und schaute mich mit den Augen an, wie mich meine Mutter angeschaut hat, die auch Anna hieß …

Anna Kowalenskaja: Für eine Oma, bestand die einzige Freude darin in den Klosterladen zu gehen, oft auch zum Gespräch. Da hat sie auch selbst um Hilfe gebeten. Wir fuhren an die besagte Adresse und lernten sie kennen. Was für eine Oma! Sie spielt Gitarre, singt, kennt viele Sprüche- und Weisheiten. Aber sie ist schwach – schon über 80. Ihr zu Hilfe wurde die Anna geschickt – um in der Wohnung putzen, einzukaufen und mit ihr spazieren zu gehen.

Wenn man so eine Oma kurz besucht, ist es fast unmöglich wegzugehen. Sofort fragt sie: „Was, sie wollen schon gehen?“ Und in den Augen sieht man aufrichtige Trauer und Unverständnis.

Vor Kurzem wurde ihr schlecht – akuter Anfall von Pankreatitis. Schwester Anna ließ alles liegen und kam zu ihr, rief einen Krankenwagen an und besuchte sie zweimal täglich im Krankenhaus, kümmerte sich um sie, obwohl niemand sie damit beauftragte … Diese Omas sind einfach schon unsere, verwandte.

Irina: Mit Maria war es physisch sehr schwer. Da gab es eine ganze Reihe von Problemen, ein schwieriger Abschnitt für sie und ihre Nächsten. Sie war völlig bewegungslos, was die Hygiene und die Behandlung von Druckgeschwüren erschwerte. Und dazu noch ein schwieriger Charakter.

Anna Kowalenskaja: Aber wir redeten mit dem Beichtvater des Klosters, Erzpriester Andrej, und beschlossen, dass wir sie bis zum Ende betreuen sollten. Irina kümmerte sich nicht nur um Maria bis zu ihrem Tod, sondern begleitete sie auch bei ihrem letzten Gang: war bei der Trauerfeier und besuchte die Beerdigung, die weit außerhalb der Stadt veranstaltet wurde, las das Psalmenbuch für die Entschlafene. Und als sie beigesetzt wurde, wie leicht es ihr da auf der Seele war!

Irina: Der Zustand war ein erstaunlicher – von leichter, heller Trauer und Ruhe. Es gab keine Schwere. Natürlich besteht eine Bindung mit jedem Menschen, um den du dich kümmerst, lässt sie in dein Herz rein, sie werden zu einem Teil von dir, von deinem Leben.

Kapitel 2. „Und die Erfahrung ist der schweren Fehler Kind …“

Natalia: Seit kurzer Zeit empfinde ich Güte, ein Gefühl der Gnade auf der Seele. Ich hatte so etwas noch nie zuvor. Mein ganzes bisheriges Leben gehörte ich, weiß nicht wem. Wem habe ich gedient? All das werde ich später analysieren. Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich endlich Gott diene, etwas Gottgefälliges verrichte. Es wird gut davon, dass ich Menschen dienen kann …

Ioanna: Gott hat mich nicht einfach so zu diesem Dienst geführt. Ich beeile mich ins Pflegeheim wie  auf ein Fest! Komme an, wasche meine Hände im Badezimmer. Die Person, um die ich mich kümmere, sitzt oder liegt auf dem Bett und man will einfach auf die Knie fallen, um mit ihr auf derselben Höhe zu sein …

Natalia: Übrigens, trainieren wir es auf den Knien zu arbeiten – vor allem für unsere eigene Sicherheit. Wir müssen arbeitsfähig sein, damit, wenn du heute sehr viel gearbeitet hast, am nächsten Tag aufstehen kannst. Im Sportsaal der Gesamtschule, die am Kloster tätig ist, feilen wir die Fähigkeiten aus, die wir später wirklich bei der Arbeit mit unseren Patienten benötigen. Ausgehend davon, dass die Verhältnisse, in denen wir arbeiten nicht ganz richtig sind (die nötigen Betten können sich bei Weitem nicht alle leisten), arbeiten wir auf den Knien dafür, um auf einer Ebene mit den Kranken zu sein, unsere Gesundheit zu bewahren und maximal kompetent zu helfen.

Larysa: Alten Menschen mangelt es an Kommunikation. Als wir Rimma besuchten, unterhielten wir uns auch in der Küche mit ihrem Mann. Der hatte so viel Freude daran: er erzählte über ihr Leben in Baschkirien und ihre Landwirtschaft. Die Menschen verlieren vieles, weil sie mit älteren Menschen nicht sprechen. Wissen die Enkelkinder überhaupt, was für Omas und Opas sie haben?

Viktor: Die Krankenpflege gibt uns etwas, was uns fehlt: Geduld, Barmherzigkeit, Liebe, Frömmigkeit, Glauben, Hoffnung, Frieden, Freude. Dieser Dienst rettet mich von den Versuchungen um mich herum, vom Nichtstun, von der Sündhaftigkeit. Wie wichtig ist es, sich im Glauben zu festigen und anzunehmen, was Gott gibt!

Irina: Du bist gerade gekommen, du weißt noch nicht, was es für ein Mensch ist, in was für einer Lage er ist. Kommst und siehst es. Und kannst dann nicht mehr einfach so weggehen. Du musst helfen: Essen geben, Kleidung umziehen, waschen. Weil außer dir es niemanden anderen gibt. Wie kannst du weggehen? Das Gewissen wird es nicht erlauben. Heute, morgen und übermorgen musst du etwas tun. Auf dem Weg nach Hause spielst du im Kopf durch, was du noch tun kannst, um schneller und mehr zu helfen.

Elena: Es ist interessant, dass wenn du dich zu 100% deiner Arbeit hingibst und dann noch als ehrenamtlicher Helfer irgendwo aushilfst, du nicht mehr nach Hause gehst, sondern wie auf Flügeln fliegst. Du kriegst so viel zurück, soviel du gibst, und noch Lebenskraft dazu!

Eine meine Verwandte fragte mich: „Elena, woher haben Sie so viel Kraft, warum sind Sie so unermüdlich?“ Dieser Dienst spendet dir Lebenskraft – sie reicht für alles aus.

Irina: Eine Oma begrüßte mich mit den Worten: „Irina, warum warst du so lange weg? Gott hat dich zu mir geführt.“ Und sagte dann: „Ich habe nichts, was ich dir geben kann. Ich werde dir etwas nähen!“ Aber sie gab in Wirklichkeit sehr viel. Du kommst dahin und musst so viel machen. Und beim Weggehen ist es, als ob dir Flügel wachsen, irgendeine Kraft kommt auf, es ist so ein Zustand, dass du verstehst: du gehst nicht allein.

Anna Kowalewskaja: Sehr viele haben versucht, in unseren Pflegedienst einzutreten – riefen an, kamen vorbei. Aber das Interessante ist, dass die, die keinen Glauben hatten, die an der Kommunion nicht teilnahmen, mit der Zeit von selbst weggingen …

 

Kapitel 3. Was ist das Wichtigste?

        

Elena: Bei unserer Tätigkeit ist der Glaube an Gott am wichtigsten. Er stärkt. Und in Bezug auf die Menschen – die Menschlichkeit. Hier ist eine Frau, die die Hygiene des Unterleibes benötigt. Sie muss vorbereitet werden, sanft, feinfühlig muss man darauf eingehen, um sie nicht zu kränken, zu beleidigen, um ihr menschliches Selbstwertgefühl nicht zu verletzen. Sie ist ja eine Person.

Ioanna: Unsere Aufgabe besteht nicht nur darin, „das Schiff zu säubern“ und im Haus aufzuräumen, sehr wichtig ist es auch an der Seele zu arbeiten.

Elena: Wir sind nicht bloß Krankenschwestern. Wir müssen nicht nur Windeln wechseln.  Eine Patronatsschwester muss den anderen Menschen fühlen. Das erste, was wir vorm Antritt unseres Dienstes tun ist beten, dass Gott uns seinen Segen gibt, und Vernunft schenkt, so dass wir verstehen, was der Mensch in diesem Augenblick braucht, was man ihm sagt, wie man auf ihn eingehen soll.

Man sollte einen Menschen wie sich selbst behandeln. Als Nadežda im Krankenhaus lag, wurde für ihre Pflege eine Krankenschwester angeheuert, dass die Oma mir davon unter Tränen erzählte: „Wenn ich essen will, muss man mir den Teller zumindest auf die Brust stellen um mich zu füttern. Sie gibt mir von der Seite zu essen. Ich sage: ‚Es ist mir unbequem…‘ –  ‚Was sie nicht sagen! Es ist Ihnen bequem‘.“ Anschließend die Windeln wechseln. Man wurde gerade erst operiert. Sie hat eine Faktur des Oberschenkelknochens, hohes Fieber hält an, eine Harnröhrenentzündung. „Sie hebt mich an, an der schmerzenden Seite. Ich sage, dass es mir weh tut. Sie: ‚Es kann Ihnen nicht wehtun!‘ Dann fühle ich, dass sich etwas in meine Ferse bohrt. ‚Sehen sie nach, was dort ist‘. – ‚Dort ist nichts, sie haben nichts‘.“ Kommt der Chirurg – sie hat ein Druckgeschwür auf der Ferse. Sie wurde also in einem schrecklichen Zustand aus dem Krankenhaus entlassen.

Als ich zum ersten Mal zu Nadežda kam, weinte sie. Wir unterhielten uns mit ihr – und der Mensch erwachte zum Leben. Das Wochenende verging, ich kam vorbei, sie lag und strahlte – sag dem Menschen ein paar Worte, unterstütze ihn – und alles verändert sich.

Irina: Man kann nicht eindeutig sagen, was das Wichtigste an unserem Dienst ist. Es gibt hier eine ganze Menge davon. Und wie die Wege zu Gott bei jedem anders sind, so ist auch der Sinn des Dienens bei jedem der Eigene. Das Wichtigste ist, dass es eine bewusste Wahl ist.

Meiner Meinung nach, ist es sehr wichtig, dass unser Dienst uns der Tugend der Demut lernt.

Viktor: Das Wichtigste ist die Bereitschaft sich selbst zu opfern. Für die Rettung der eigenen Seele und die Nächstenhilfe. Und weiter – für das Himmelreich.

Aufgeschrieben von Elena Nasledyscheva

 

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