Eine Chance für einen Wohnungslosen: wie in Lysaja Gora verlorene Menschen gerettet werden

In der Winterzeit versammeln sich auf dem Bauernhof, der rund 30 km von Minsk entfernt ist, etwa 200 Männer, Alkoholiker oder Obdachlose, die von einigen Schwestern des Klosters der Hl. Elisabeth betreut werden.

Ich fühle, dass ich nicht zu recht komme, bekennt Schwester Johanna, einer der Nonnen des Klosters der Hl. Elisabeth. Ihre Gehorsamsaufgabe erfüllt sie in Lysaja Gora – auf dem Klosterhof 30 km von Minsk entfernt. Hierher kommen Männer, die sich in einer schwierigen Situation befinden, Obdachlose, Alkoholiker, zusammenfassend gesagt, Leute, die sich durch das Leben verloren haben.

Zur Zeit gibt es davon mehr als 200 Menschen. Und im ganzen sind es etwa fünf Schwestern, die auf dem Klosterhof für Ordnung sorgen. Es existieren wenige Regeln: man sollte in die Kirche gehen und arbeiten. Verboten sind Alkohol, Drogen, unflätige Reden. Für die Brüder, die auf dem Hof aufgenommen wurden, hat es sich erwiesen, dass es keine einfache Aufgabe ist, wie es sich gezeigt hat, sich den wenigen Verboten zu unterwerfen.

Viele kommen auf den Klosterhof und gehen wieder weg, aber dann kehren sie doch zurück – und sie werden immer wieder aufgenommen

Ich bemühe mich, das zu tun, was Gott gesegnet hat. Aber ich sehe, dass ich nicht zurecht komme. Ich selbst bin auch schwach und krank. Ich ärgere mich und es kommt vor, dass ich die Geduld verliere. Es ist besonders schwer, wenn du mit einem Menschen sprichst, wie es sein soll, und in dir ist nichts Böses oder die Absicht zu demütigen, aber sie empfinden das so.
„Das tut sehr weh…“, bekennt Schwester Johanna.
„Die Schwestern kommen zu recht, glauben Sie mir.“, mischt sich Maxim, einer der Bewohner des Klosterhofes oder Bruder, wie man hier sagt, ins Gespräch ein. Maxim ist 33 Jahre alt, davon hat er ungefähr 14 Jahre im Gefängnis verbracht.

Die Alteingesessenen

Valerij ist einer der Alteingesessenen und lebt seit 13 Jahren in Lysaja Gora. Er erinnert sich, wie alles begann: ein altes Holzhaus ohne jeden Komfort, sogar ohne Wasser. Damals waren sie 25 – 30 Leute.

Der „Ureinwohner“ des Asyls Valerij arbeitet als Bibliothekar: gelesen wird ein Drittel geistliche Literatur, ein Drittel Klassik und ein Drittel Abenteuer und Fantasie

„Jetzt ist es natürlich leichter, obwohl es mir manchmal so scheint, als ob es am Anfang leichter war. Es waren weniger Leute, sie lebten freundschaftlicher zusammen. Natürlich, bezüglich der Lebensverhältnisse war es schlechter. Es war schwierig, sich zu waschen, denn es gab kein Waschbecken. Wir haben uns in Schüsseln und Krügen gewaschen. Alles war härter, aber einfacher. Wie bei den Studenten in der Baubrigade: so ähnlich: keine Annehmlichkeiten, aber viel Gefühl…Wir mussten damals mehr arbeiten, denn es gab weniger Leute. nichts blieb verborgen.“ erzählt Valerij.
Im früheren Leben war er Ingenieur. Irgendwann ist alles eingestürzt, er hatte sich im Handel versucht, es war missglückt. Er begann zu trinken…Letztlich erschien er in Lysaja Gora. Er arbeitete in den Gewächshäusern, auf der Farm, in der Kerzenwerkstatt und im Refektorium…Jetzt in der Bibliothek.
Alteingesessene gibt es in Lysaja Gora einige. Ein anderer Bruder Valerij arbeitet als Traktorist. Und einige Leute kommen und gehen. Von allen derzeitigen Bewohnern gehört etwas mehr als ein Drittel zu jenen, die sich ihrer Situation bewusst werden und versuchen, sich aus dieser zu befreien. Die Anderen kommen einfach und bleiben etwas länger oder überwintern nur. Wenn sich im Winter etwa 200 Brüder auf dem Klosterhof versammeln, dann sind es im Sommer etwa 100.

Die grundlegende Gehorsamsaufgabe im Asyl – Arbeit, jedem nach seinen Fähigkeiten zugedacht

„Es ist wichtig, ihnen diese Chance zu geben. Der Mensch kann, erwartet schon, dass man ihn ablehnt, aber er wird nicht abgelehnt. Und das berührt ihn. Und er beginnt, sich aus seiner Situation herauszuarbeiten. Ja, da gibt es menschliche, alltägliche Momente, es gibt geistige und geistliche. Hier steht der geistliche Akzent an erster Stelle – niemals abweisen. Das ist das Grundlegende. Aber wodurch würden wir uns sonst von anderen Organisationen unterscheiden“, urteilt Schwester Johanna.

Die Krippe

In den 13 Jahren, in denen Bruder Valerij in Lysaja Gora lebt, hat sich der Klosterhof grundlegend verändert. Es entstanden feste Gebäudekomplexe, ein Refektorium, die Kirche, einzeln stehende Werkstätten.

Die Brüder wohnen in Klosterzellen, jene, denen man vertraut in Zimmern zu zweit oder zu dritt. Die Neuen werden in großen Zellen untergebracht, wo bis zu 12 Leute Platz finden.

Im Klosterhof nur herumhängen, gelingt nicht. An 6 Tagen in der Woche erhalten alle eine Gehorsamsaufgabe, mit anderen Worten – es wird gearbeitet

„Damit sie auf einander acht geben, keine Versuchungen zulassen. Denn bei einer kleinen Anzahl Leute gibt es mehr Möglichkeiten, sich ganz abzusondern, irgendwo zu nutzen. Das diszipliniert. Und dann, wenn die Schwester sieht, dass der Mensch selbständig ist, dass er gewillt ist, sein Leben zu ändern, dann räumt sie die Möglichkeit ein, damit wir für uns ein wenig mehr Gemütlichkeit schaffen können.“, erzählt Maxim.

Schwester Johanna erfüllt ihre Gehorsamsaufgabe in Lysaja Gora – hilft verlorenen Leuten und verlassenen Tieren.

Die Neuen werden in so genannten Krippen zusammengefasst. Man versammelt sie zu bestimmten Gebeten. Ihnen wird ein älterer, erfahrener Bruder zugeteilt, der mit ihnen in Verbindung steht, mit ihnen täglich ihre Gehorsamsaufgabe festlegt.


„Wenn der Mensch es aushält, gibt man ihm eine Gehorsamsaufgabe, bei der er auch einige Kopeken (Cent) erhalten kann. Das ist kein Lohn, sondern eine kleine Aufmunterung. Um sich Tee oder Zigaretten zu kaufen. Sie rauchen halt. Und so – wo kaufst du ein? So gibt es eine Art Anreiz.“, erläutert Schwester Johanna.
Die schwierigsten Brüder sind die überzeugten Wohnungslosen, mit anderen Worten – Obdachlose und jene, die an einer Drogenabhängigkeit leiden.

In der Tischlerei werden Teile zum Verzieren von Ikonen mit Lack überzogen

„ Drogensüchtige – das ist solch ein Elend. Dort geht im Kopf und in der Seele so etwas vor sich…Sie springen auf die Bäume und sitzen dort wie die Vögel. Es gab einen jungen Burschen, er hat in der Kirche gedient. Ein Kind. Aber wegen der Drogen litt er an einer Art Besessenheit. In der Kirche hat er angefangen, mit einer unnatürlichen Stimme zu sprechen, er wird nieder geworfen, schlägt sich mit dem Kopf auf den Boden. So kommt er ums Leben. Das ist so schrecklich…Aber die Obdachlosen sind einfach an solch ein Leben gewöhnt. Und jetzt haben sie alles – ein warmes Bett, Essen, Arbeit…Aber er möchte sich trotzdem herumtreiben, das ist alles.“ gibt Schwester Johanna zu.

Faul herumsitzen auf dem Klosterhof gelingt natürlich nicht. Sowohl die Bewohner der Krippen als auch die Alteingesessenen erfüllen ihre Gehorsamsaufgabe an sechs Tagen der Woche, mit anderen Worten sie arbeiten. In der Nähe gibt die unterschiedlichsten Werkstätten: Tischlerei, Schlosserei, Kerzenwerkstatt, es gibt auch eine Farm, die Molkerei, Gewächshäuser.
Jeden Tag nach dem Aufstehen warten auf die Brüder Gebet, Frühstück und ihre Gehorsamsaufgabe. Dann gibt es Mittagessen und bis zum Abendgebet wieder zurück an die Arbeit. Samstags wird ein halber tag gearbeitet. Am Sonntag ist frei. Sich entfernen kann man mit dem Segen der Schwestern. Gewaltsam wird hier niemand festgehalten, unterstreicht man auf dem Klosterhof.

Maxim erfüllt seine Gehorsamsaufgabe in der Tischlerei und schafft aus Holz solche Kunstwerke

Geschichten

Maxim, der etwa 14 Jahre von seinen 33 Lebensjahren abgesessen hat, ist seit einem Jahr in Lysaja Gora, einen Monat fuhr er weg. Ein Freund hat ihn gebeten, ihm bei der Herstellung von kirchlichen Möbeln im Kloster zu helfen.
„Dreizehneinhalb Jahre habe ich heruntergerissen, ich sitze seit meinem 14. Lebensjahr. Rechne mal nach, mein ganzes bewusstes Leben. Ich war nie drogen- oder alkoholabhängig, in mir war einfach eine große Leere…Es gab eine Bleibe und ich hatte Geld, aber innerlich war alles leer.“ erzählt Maxim.
Hier ist dieses Gefühl der Leere verschwunden. Er erfüllt seine Gehorsamsaufgabe in der Tischlerei. und träumt davon zu heiraten.
„Ich schließe eine Familie nicht aus, ich strebe danach. Auch deshalb möchte ich weiter im Kloster arbeiten.“ erklärt Maxim.
Schwester Johanna gesteht, dass sie Maxim im weltlichen Leben nicht hätte gehen lassen. Sie sagt, dass sie Gott um einen guten gläubigen Menschen für ihn bittet. Aber dann ist da noch Bruder Alexej, für den, nach ihrem Eindruck, ein weltliches Leben contraindiziert ist. Er würde dort sterben, zu Tode trinken.

An der Holzlaserschneidewerkbank werden ganz unterschiedliche Dinge produziert – von der Ikone bis zum Spielzeug

Alexej ist auch ein junger Bursche, von Beruf Schauspieler, der aus dem Moskauer Gebiet auf Drängen des dortigen Priesters anreiste. Er kam um seine Alkoholabhängigkeit zu kurieren. Sie vereinbarten drei Monate. Jetzt lebt er hier schon 2 Jahre.  In der Anfangszeit wollte er sich davonmachen. Jetzt, sagt er, nicht mehr.

„Ich habe keine Notbremse. Wissen Sie, wie das wird, – als ich kam, verpasste ich den Bus, den Zug ereichte ich nicht mehr, aber in das Geschäft habe ich es immer geschafft.“ lacht Alexej.

Wer hätte ihn hier behalten, wenn es eine intelligente Frau und einen intelligenten Alex gäbe, stimmt Schwester Johanna ein.

„Einige Leute können einfach nicht. Gott schenkt jemandem hier die Zeit, sich zu stärken. Da gibt es einen anderen Alexej aus Russland, Bauarbeiter, der kommt uns besuchen, denn er hat geheiratet und er hat eine gute Frau. Aber Alexej hat nicht die Kraft dazu. Wir haben uns mit der Nonne Martha, die den Klosterhof leitet, beraten und sie wird ihn nirgendwohin weglassen. Mag er unter dem Zaun, sein Leben beenden, wenn es redlich ist. Wozu das alles…“ erwägt die Novizin.

Der Schauspieler Andrej kam in das Asyl aus dem Moskauer Gebiet, auf Drängen des dortigen Priesters, aber den Hund Malysch nahm Schwester Johanna auf.

Nach dem Ganzen zu urteilen, bleibt auf dem Klosterhof noch Igor aus Brest. Er kam auch nur zum Überwintern. m früheren Leben leitete er einen Gastronomiebetrieb, aber jetzt hütet er die Ziegen.

Igor aus Brest kam nur zum Überwintern auf den Klosterhof, aber, wie es aussieht, bleibt er für länger

„Wenn mir jemand vor einem Jahr gesagt hätte, dass ich auf einer Farm in der Tierzucht als verdienter Viehzüchter arbeiten werde, dann hätte ich natürlich gelacht. Ich habe Ziegen nur im Fernsehen gesehen. Aber hier wird geworfen und gekalbt. Das war für mich eine Offenbarung.“ erzählt Igor.

Er lief auch vor dem Alkohol, der Leere und dem Alleinsein davon. Hier ist er zum ersten Mal bewusst in die Kirche gegangen, hat erstmals gebeichtet. Aber jetzt, bekennt er, kam es dazu, dass er begonnen hat das Evangelium zu lesen. Auf die Frage nach seinen Plänen antwortet er: ich werde leben und arbeiten.

Schwester Johanna mit dem ihrem Schützling, dem einäugigen Kater Kutusow.

Die Mission

Bei den Brüdern in Lysaja Gora wohnen auch noch rund 30 Hunde und 40 Katzen. Sie alle haben kein leichtes Schicksal. Verstoßene, zurückgelassene, bisweilen verkrüppelte Tiere.
Dem Kater Kutusow zum Beispiel fehlt ein Auge. Genau deswegen haben sie ihn so genannt. Aber vielleicht auch wegen seines Charakters. Er ist auch ein Held, denn er hat mutig Schwester Johanna verteidigt, als sie von einem der Brüder angeschrieen wurde.

Das Asyl in Lysaja Gora begann vor 13 Jahren mit einem einfachen Haus ohne Annehmlichkeiten, aber jetzt überwintern hier rund 200 Menschen.

Abgesehen von allen Schwierigkeiten und vielleicht ist der Prozentsatz der Brüder, die in s normale Leben zurückfinden nicht hoch genug, beharrt Schwester Johanna darauf, dass ihre Gehorsamsaufgaben einen Sinn ergeben.
„Wenn auch nur ein Mensch, der sich hier befunden hat, gerettet wird, Gott findet, oder jemand sozialisiert wird, eine Familie gründet, arbeitet, den wahren Sinn des Lebens versteht, um des Nächsten, um Gottes willen, das schon hat einen Sinn.“, erklärt Schwester Johanna.
Ganz egal, am Sonntag werden ganz bestimmt alle Uneinigkeiten in den Hintergrund treten. Ostern steht vor der Tür. Festlich gedeckter Tisch, Gespräche und Gottesdienst im Kloster. Es ist trotz allem ein, nein der Feiertag und die Hoffnung auf Erlösung.