Sergej erzählt uns seine Geschichte, die beispielhaft ist für die Leben vieler unserer Brüder in Lysaja Gora.
Ich habe mehr als 20 Jahre Drogenerfahrung. Ich ging ins Krankenhaus in Novinki, um die Entzugserscheinungen loszuwerden. Ich hatte das Gefühl, dass ich aus der Sucht herauskommen musste. Eine Schwester der Barmherzigkeit besuchte mich im Krankenhaus, sie half mir sehr, behandelte mich wie einen Menschen, mit Freundlichkeit. Und jetzt sehen wir uns oft bei Gottesdiensten, sagen Hallo und erinnern uns aneinander.
Im Krankenhaus habe ich die gebeichtet und die Kommunion empfangen. Meine “weiße” Schwester sagte mir, ich solle Vater Andrej Lemeshonok eine Nachricht schreiben. Ich schrieb, dass ich drogenabhängig sei, dass ich nirgendwo hingehen könne und dass es nur einen Ausweg gäbe: entweder Gefängnis oder wieder Drogen. Vater segnete mich, auf den Klosterhof gehen zu dürfen.
Ich blieb dort nicht lange, etwa acht Monate. Mein Gehorsamsdienst fand auf dem Viehhof statt. Zu diesem Zeitpunkt fing ich wieder an zu konsumieren – und sie warfen mich raus. Ich kehrte in mein früheres Leben zurück. Drei Jahre vergingen und irgendwann landete ich wieder in der Krankenhausabteilung. Ich nahm den Segen noch einmal und kehrte nach Lysaja Gora zurück. Dieses Mal blieb ich schon mehr als zehn Jahre dort.
Ich habe anderthalb Jahre auf dem Viehhof gearbeitet. Dann wurde mein Arbeitsplatz aus gesundheitlichen Gründen geändert und ich landete in der Kerzenwerkstatt, in der ich etwa neun Jahre lang arbeitete. Mir gefiel es dort. Ich habe Kerzenrahmen gewickelt, oft nachts allein. Ich schaltete das Radio ein und leise Musik lief. So spulte ich die ganze Nacht Docht auf die Rahmen, ich wurde nicht müde davon. Während der Nachtschicht habe ich mehr Rahmen aufgezogen als tagsüber. Dann wechselte der Verantwortliche und ich ging weg. Mehrmals wurde ich hinausgeworfen, aber ich kam trotzdem immer wieder.
Mir gefiel der Bauernhof: der Wald, die Natur. Dort begann ich etwas über den Glauben und Gott zu verstehen. Die Gespräche mit Vater Andrej haben mir sehr geholfen. Ich habe dem Priester einmal gesagt, dass ich nie pünktlich zur Liturgie aufwache und früh einfach nicht aufstehen kann. Vater sagte, ich solle meinen Schutzengel bitten, mich aufzuwecken. Ich tat dies, und am Morgen spürte ich einen Stoß an meine Schulter, öffnete meine Augen, schaute auf die Zeit – es war Zeit, zur Arbeit zu gehen. Dann wurde mir klar, dass es mein Schutzengel war. Und jetzt bitte ich ihn immer, mich aufzuwecken.
Auf dem Klosterhof begann ich, die Mutter Gottes (ich nenne die Mutter Gottes „Mama“) um Hilfe zu bitten, und den Herrn, und ich begann, ihnen, Gott zu danken.
Die Brüder untereinander nennen Vater Andrej “Papa”. Das ist keine beleidigende Anrede, sondern eine respektvolle. “Papa”nennt man den Vater innerhalb der Familie, denn er ist wie ein leiblicher Vater zu uns. Vater Andrej ist ein Mann von Gott. Solche Menschen werden nur einmal in zweihundert Jahren geboren. Gott hilft ihm. Und ohne Pater Andrej gäbe es all das hier – das Kloster, den Klosterhof – nicht. Er arbeitet hart, und von ihm kommen Liebe und Freundlichkeit. Manchmal, wenn man etwas falsch macht, kann er wütend werden wie ein normaler Mensch, aber er liebt uns wie ein Vater. Wenn sein Sohn “mit einem Affen”nach Hause kommt, kann er als Vater ihm den Hintern versohlen, aber er tut es nicht aus Wut. Dann umarmt er ihn, küsst ihn, kauft ihm ein Eis. Und so ist es auch hier. Batuschka Andrej versohlt uns natürlich nicht den Hintern, aber als Vater versucht er, uns zu verstehen.
Wenn ich etwas tue, spüre ich innerlich, dass nur der Vater für mich eintreten und mir helfen kann. Viele Menschen können sich abwenden, aber Väterchen wird sich nicht abwenden. Durch ihn spüre ich die Liebe Gottes.
Als ich wieder wegging, war ich sehr verärgert und fing an, Drogen zu spritzen. Als die Entzugserscheinungen begannen, ging ich zurück ins Krankenhaus. Eine der Nonnen des Klosters, Mutter Paraskewa, fragte nach mir. Sie kannte mich nicht, aber ein Bruder kam auf sie zu und erzählte ihr von mir. Darüber, dass ich im Krankenhaus liege und es mir schwerfällt, dass mich alle Schwestern, mit denen ich ein gutes Verhältnis hatte, im Stich gelassen haben. Mutter Paraskewa kam in meine Abteilung, ich sprach mit ihr. Sie hatte Mitleid mit mir und dank ihr bin ich hier gelandet. Wir verstehen uns immer noch gut mit ihr, wir sind Freunde. Sie ist sehr menschlich und hat schon viele Brüder herausgezogen aus dem Sumpf der Abhängigkeit.
Ich bin seit Mai letzten Jahres hier. Interessant ist, dass mir das Kloster besser gefällt als der Klosterhof. Es gibt Menschen, Bewegung, Leben …
Eine kurze biografische Erzählung
Als ich 16 Jahre alt war, landete ich wegen einer Schlägerei im Jugendgefängnis. Dort fing ich an, eine Glatze zu bekommen, weil ich nervös war. Außerdem begann ich unter schweren Allergien zu leiden. Sie begannen, mir intravenöse Beruhigungsmittel zu geben. Das gefiel mir sehr gut. Und in Übereinstimmung mit meinem Nachnamen – Kotow (Kater) – begann ich, auf raffinierte Weise Krankheiten zu erfinden. Also spritzten sie mir immer wieder Medikamente. Als ich aus dem Gefängnis entlassen wurde, wusste ich also ungefähr, was Drogen sind. Die ersten zwei Monaten war ich arbeitslos und ein Wiederholungstäter zeigte mir, wie man Drogen kocht. Damit fing alles an. Und das war es dann für fast 27 Jahre.
Ich hatte keinen Vater, meine Mutter hat mich und meinen Bruder alleine großgezogen. Mama arbeitete in einem Kindergarten und war eine sehr gute Erzieherin. Sie liebte Kinder sehr. Ihre kleinen Kinder saßen auf dem Töpfchen und sangen Lieder. Und ich bin so ein Idiot … Ich erinnere mich an ihre Worte: „Wenn die Mutter stirbt, beißt man sich in den Hintern, aber es wird zu spät sein.“ Und so geschah es. Als meine Mutter starb, hatte ich solche Schmerzen, dass ich lange Zeit überhaupt nicht sprechen konnte. Ein Freund kam zu mir und redete mit mir, aber ich konnte kein Wort sagen. Dann riet mir einer meiner inzwischen verstorbenen Freunde, zu einem Psychiater in die Bechterew-Klinik zu gehen und die Situation zu klären, sonst würde ich mir mit den Drogen mein Gehirn „wegblasen“ und ich würde mir meine Adern ruinieren. Genau das habe ich getan. Der Arzt hat mir Tabletten verschrieben. Ich trank sie und fühlte mich besser. Doch gleichzeitig nahm ich Drogen. Drogen sind teuer, deshalb habe ich früher gestohlen, um sie kaufen zu können. Einmal saß ich wegen Diebstahls für drei Jahre im Gefängnis, doch später wurde ich nie wieder gefasst.
Als ich auf dem Klosterhof ankam, träumte ich eines Nachts von meiner verstorbenen Mutter. Sie sagte: „Junge, jetzt habe ich mich endlich beruhigt.“ Als ich gefeiert habe, also auf “Droge” war, mit dem Leben kämpfte, stahl, träumte ich oft von ihr, aber später auf dem Hof nie wieder …
Zurück ins Jetzt
Das Territorium des Klosters ist groß. Wenn ich fege, vergesse ich, dass dies ein Kloster ist, ich fege, als wäre ich zu Hause, sorgfältig, mit Liebe. Aber es kommt auch vor, dass man gar nichts tun möchte. Die emotionalen Zustände sind unterschiedlich. Manchmal arbeitest du mit einem Lächeln, singst ein Kinderlied, und manchmal gehst du herum und hoffst nur, dass man dich in Ruhe lässt, dass es schnell fünf Uhr wird und du gehen kannst.
Wenn die Blätter fallen, fegt man auf, dreht sich um – und alles war für die Katz’. Der Winter war auch hart. Jetzt ist es natürlich viel einfacher. Nur bei starkem Wind müssen Äste eingesammelt werden.
Bei meiner Arbeit gibt es Momente der Unbeholfenheit, wenn man zum Beispiel Mülleimer ausräumt, hineingreift und ein schönes Mädchen geht in diesem Augenblick vorbei. Da tauchen Verlegenheit und Scham auf.
Und manchmal, wenn man gerade fegt, kommt eine ältere Frau vorbei und sagt: „Danke, Jungs, dass ihr so schön aufgeräumt habt, dass es so sauber hier ist.“ Das ist sehr schön, solche Worte geben Kraft.
Ich habe einen himmlischen Freund, den Heiligen Sergej von Radonesch. Auf dem Klosterhof habe ich mich mit ihm angefreundet. Jemand hatte mir gesagt, dass er mein Namensheiliger ist. Manchmal, wenn ich die Wege kehre, erinnere ich mich an den Hl. Sergej von Radonesch und rede mit ihm, als wäre er in der Nähe. Ich sage ihm „Hilfe“, „Danke“. Wenn ich zu Bett gehe, küsse ich oft die Ikone des Hl. Sergej von Radonesch.