Es ist ein lebhafter Herbstmorgen. Zwei Minuten vor neun hält ein überfüllter Stadtbus an der Bushaltestelle in der Nähe des Klosters der Heiligen Elisabeth. Es ist mitten in der Stoßzeit. Alle beeilen sich zur Arbeit. Aber einige von der Menge sind darum eifrig bemüht. Sie eilen allen voran in Richtung nach dem Kloster. „Vorsichtig, Tatjana! Brich dir die Schuhabsätze nicht ab!“, scherzt ein Bruder, der ebenfalls in Eile ist. Eine andere Schwester ist besorgt: „Wo ist mein Kopftuch? Habe ich es zu Hause liegen lassen? Nimm es schnell raus!“ Viele kommen zur Arbeit zu spät, aber nur die Ikonenmaler sind in Eile, um pünktlich zu sein. Sie haben einen disziplinierten und anspruchsvollen Leiter, Vater Sergej, der immer verärgert ist, wenn sich seine Mitarbeiter verspäten. Der Arbeitstag in der Werkstatt beginnt um neun Uhr, wenn alle den Kanon auf den Heiligen Andrei Rubljow vorlesen. Wenn sie Besucher begrüßen und ihnen die Werkstatt vorführen, sagen die Schwestern immer: „Der Tag eines Ikonenmalers beginnt mit einem Gebet“. Und sie haben recht. Die Tür der Werkstatt lässt sich ab und zu öffnen und schließen, wenn die Ikonenmaler hingehen, um Troparien zu singen und Irmosen zu lesen.
Die Ikonenmalerei-Werkstatt sind in erster Linie ihre Ikonenmaler. Sie sind sehr verschieden; sie sehen sogar anders aus. Einige sind den Fotomodellen ähnlich, andere ähneln eher Pilgern. Einige von ihnen können als schöne Frauen bezeichnet werden, andere sehen als Frauen mittleren Alters mit Einkaufstaschen aus. Unter den Ikonenmalern gibt es auch Mönche. Alle arbeiten gemeinsam. Was haben sie alle gemeinsam? Gott hat sie alle auf eine einzigartige und besondere Weise vereinigt.
Am Anfang gab es nur eine kleine Anzahl von Menschen. Das Kloster war noch nicht da, und der Bau der ersten Kirche hat noch nicht einmal begonnen. Die ersten Ikonenmaler waren die Gemeindemitglieder der Kathedrale von St. Peter und Paul und die Studenten der Kunstakademie. Sie kamen fast zur gleichen Zeit in die Kirche und nahmen Unterricht in Ikonographie bei Priester Igor Latushko aus der Kathedrale. Als die Schwesternschaft gegründet wurde, wurden sie ihre Mitglieder. Irgendwann entstand bei uns eine Frage: warum wir gemeinsam Ikonen nicht malen könnten? Gute Ideen werden sich in den meisten Fällen verwirklichen. Das war keine Ausnahme, und bald wurde ein geeigneter Ort für ein Atelier gefunden. Das war ein Keller der psychiatrischen Klinik.
Als man begann, neben der Klinik eine Kirche zu bauen, bat man uns fast sofort, mit der Arbeit an der Ikonenwand anzufangen. Der Chefarzt des Krankenhauses ließ uns zum Malen der Ikonen einen Raum auf dem Territorium der Klinik nutzen. Große Ikonen-Tafeln wurden im Winter 1998 in Auftrag gegeben. Priester Sergij erinnert sich an diese Zeit, wenn er lange Stunden im Keller des Krankenhauses verbracht hat. Noch als Student der Kunstakademie kam er ins Atelier, um dünne Farbschichten (bis zu 10 – 15 Schichten pro Tafel) aufzutragen. Es war Frühling. Alles stand in Blüte. Priester Sergij erinnert sich:
„Es war schon spät am Abend, und ich war allein. Ich trug eine Schicht der Farbe auf, die etwa dreißig Minuten zum Trocknen braucht, und ich döste ein, während ich wartete. Ich stellte mir den Wecker, um alle vierzig Minuten aufzuwachen und eine neue Schicht aufzutragen. In diesen Jahren schenkte ich mir oft heißen Tee ein. Ich ließ mir einen Tee ziehen, schlief aber ein, bevor ich einen Schluck trank. Wenn ich über mich den Tee verschüttete, wachte ich auf. Manchmal wachte ich auch auf, wenn ich vom Stuhl fiel. Einmal fiel ich mit einer Tasse Tee in der Hand um. Ah, das waren meine glücklichen Tage…“
Die Ikonenmalerei-Werkstatt wurde in der hellen Woche nach Ostern 1999 im Kloster eröffnet. Anfangs gehörten dazu nur zwei Nonnenschwestern, die die Tafeln den goldenen Hintergrund machen und Trockenöl auftragen lernten. Heute erledigen die Assistentinnen all diese Arbeiten, während sich die Ikonenmaler nur noch auf das Malen konzentrieren.Jeder konnte sich trotz der Anfangsschwierigkeiten mit diesem Arrangement abfinden. Ich erinnere mich auch an den Besuch einer großräumigen Ikonenmalerei-Werkstatt in der Kathedrale von St. Peter und Paul. Wir betraten sie mit großer Ehrfurcht. Der, wer den Altar zum ersten Mal betritt, hat sich vielleicht dasselbe gefühlt. Wir baten die Ikonenmaler darum, uns in irgendeiner Weise helfen zu lassen, damit wir wiederkommen konnten. Sie nahmen unseren Vorschlag an, und wir kamen wieder, um beim Scheuern von Farbtöpfen und Fußböden zu helfen. Das war eine Ehre für uns beim Schreiben von Ikonen anwesend zu sein. Schließlich lernten wir die richtigen Techniken, um Farben auf mineralischer Basis zu mischen und aufzutragen. Es ist wirklich ein großes Wunder, dass die byzantinischen Ikonenmaltechniken erhalten sind und Ikonen immer noch auf dieselbe Art und Weise gemalt werden, wie sie die großen Meister wie Andrei Rubljow vom 12. bis zum 15. Jahrhundert geschrieben haben. Moderne Maler verwenden sie nicht mehr. Eines der Ikonenmalerei-Bücher, das wir außer Acht nie ließen, war „Die Arbeit eines Ikonenmalers“ von Nonne Juliania (Sokolova); wir bestrebten uns alle Details und Geheimnisse des Handwerks zu behalten. Ich erinnere mich auch an unsere Besuche in der Tretjakow-Galerie in Moskau, um Vorbilder der alten Ikonenmaltechniken kennenzulernen. Sie haben uns sehr begeistert. Solche Vorbilder kann man in Belarus kaum irgendwo finden. Wir arbeiteten auch hart daran, eine Sammlung von Büchern, Neudrucken und Fotos der alten Ikonen, Mosaiken und Fresken zusammenzustellen. Diese Aufgabe wurde jetzt mit dem Entstehen eines Computers viel einfacher. Anfänger in den Werkstätten sollen nicht mehr eine sehr steile Lernkurve durchlaufen, da die meisten Arbeitsprozesse bereits etabliert sind. Bevor Computer entwickelt wurden, sollten wir wie der junge Mann aus Tarkowskijs Film „Andrej Rublew“ schuften, der seine Glocke goss. Aber unsere Entwicklung als Werkstatt war für uns eine glückliche und spannende Zeit.
Während unsere Werkstatt immer weiter wuchs, setzten neue Brüder und Schwestern ein, die wir dennoch recht gut kannten. Die Werkstatt war unser Leben, ebenso wie die Schwesternschaft, die Gottesdienste, die Versammlungen und die Vorträge unseres geistlichen Vaters. Keiner konnte sich selbst ohne die Werkstatt vorstellen. Ehrlich gesagt, wurde sie für viele wie ein Zuhause. Als wir noch im Keller des Krankenhauses waren, stellten wir hinter den Kleiderschrank ein Bett in Königsgröße. Es war genug groß, dass drei Schwestern gleichzeitig darin schlafen konnten. Die Schlafplätze für die Brüder befanden sich auf der anderen Seite des Kleiderschrankes. Dort verbrachten wir unsere Nächte vor den Frühgottesdiensten. Während sich die Kirche noch im Bau befand, gab es nur drei Gottesdienste pro Woche, ein Gottesdienst wurde donnerstags im Rehabilitationszentrum des Krankenhauses gefeiert, der andere – freitags in der Kapelle des Pflegeheims und der dritte – sonntags in der im Bau befindlichen Kirche. Als das Wohnheimgebäude aufgebaut war, zog unsere Werkstatt vom Krankenhauskeller dorthin um. Alle Schwestern, die sich anfangs an uns anschlossen, hatten entweder geheiratet oder waren ins Kloster eingetreten. Die Brüder wiederum – Ikonenmaler und Nicht-Ikonenmaler – haben eine Gruppe mit dem Namen „Berg – Athos – Hütte zu Ehren der Heiligen Gottesmutter“ gegründet, die in der Werkstatt lag und sich außerhalb der Arbeitszeiten traf.
Die Gottesdienste im Kloster fanden bereits täglich ab vier Uhr morgens statt. Die meisten Brüder assistierten den Priestern als Kirchner und nahmen regelmäßig an den Nachtgottesdienste teil. Die Versammlung der „Hüttengruppe“ begann mit einem späten Abendessen, das gewöhnlich aus Nudeln, Ketchup und Fischkonserven bestand und von einer langen und lebhaften Debatte begleitet wurde. Wenn das Abendessen zu Ende war, lasen alle Gebetsregel und danach den Akathist an die allheilige Gottesgebärerin vor. Die Brüder lesen den Akathist immer noch jeden Freitag nach dem Abendgottesdienst. Damals lasen wir sie bei Kerzenlicht, und wir verbrannten Räucherwerk. Die Brüder wechselten sich beim Verbrennen des Räucherwerks ab. Sie benutzten ein Räucherwerk in der Größe von einer echten Kinderklapper und Weihrauchöl. Einer der Brüder wurde schließlich Diakon und benutzt jetzt ein Räucherwerk in Erwachsenengröße. Den Schwestern ließ man das Räucherwerk nicht zu verbrennen. In der Hüttengesellschaft auf dem Berg Athos sollte es keine Schwestern geben. Trotzdem hatten wir ein paar Schwestern, die die Namen Vater Irinarch und Vater Laurentij trugen, um sich an die Regeln des Berges Athos zu halten.
Vater Andrej war unser häufiger Gast, und jeder Besuch von ihm war ein besonderes Ereignis. Wir hatten auch unsere Schlafenszeit-Rituale. Wir bauten die provisorischen Betten auf, die den gesamten freien Platz in der Werkstatt einnahmen. Vier Stühle (immer noch aus dem Krankenhauskeller) wurden in eine Reihe gestellt, um den Brüdern als Betten zu dienen. Ein Bruder, der sich an uns regelmäßig anschloss, brachte ein großes Klappbett mit einer ungewöhnlich dicken Matratze mit. Es war ein großer Spaß, ihm zuzusehen, wie er es hochklappte. Ein anderer Bruder schlief immer im Schlafsack auf dem Boden. Er rollte sein khakifarbenes Bett aus und machte mehrere Verbeugungen. Manche sagen, wenn er ein Zimmer im zweiten Stockwerk bewohnte, gab es viel Lärm von seinen Verbeugungen, dass die Bewohner darunter nicht einschlafen konnten, bis er fertig war. Aber unsere Väter und Brüder hatten keine Schlafprobleme. Manchmal kam zu uns Valerj, ein Kirchner, der von unseren Brüdern überredet wurde, die nicht ertragen konnten, wie er versuchte, in einem alten Sessel in der Küche trotz der Beinschmerzen einzuschlafen. Er war ernst, und er hielt sich immer von den geräuschvollen Versammlungen der jüngeren Brüder fern. Jetzt ist er ein geachteter und solider Priester. Was wird nun mit den anderen geschehen?
Einer der Brüder hat immer wieder gesagt: „Wir leben in unseren glücklichsten Momenten. Irgendwann werden wir getrennte Wege gehen. Wir werden erwachsen und werden solide sein.“ Keiner von uns hat ihm geglaubt. Aber leider verändern wir uns. Einige Brüder und Schwestern haben geheiratet, andere sind ins Kloster gegangen. Die „Hüttengesellschaft“ ist sich aufgelöst. Der Bruder hatte recht! Dennoch sind wir geistig verbunden geblieben. „Das Wichtigste ist, dass wir Gott finden, im Himmelreich werden wir ein einheitliches Ganzes sein, und unsere Einheit wird noch stärker sein“, dachten wir alle.
Aber die Werkstatt funktioniert weiter. Nach vielen Jahren hat sie sich verändert und ist angewachsen, wurde in gewisser Weise formeller und grundsätzlicher. Einige Leute haben uns verlassen, einige haben das aus familiären Gründen gemacht, andere haben einen anderen Gehorsam im Kloster bekommen. Neue Leute schließen sich an uns an. Sie brauchen Zeit, um sich anzupassen, aber wenn sie das schaffen, werden sie unsere echten Familienmitglieder. Wir feiern jedes Mal, wenn eine neue Person zu uns kommt. Denn das ist ein Gotteswunder. Für alle Menschen hier ist die Ikonenmalerei das Leben, und Gott ist das Ziel.
Wie Vater Igor ehemals gesagt hat, seien einige Ikonenmaler begabt; sie würden Meisterwerke schaffen. Andere würden ihr Seelenheil in den Ikonen finden. Letzteres gehe die meisten von uns an.
Oft fühlt es sich so an, als würden wir selbst auf etwas ganz Wesentliches verzichten und es Gott überlassen. Offen gesagt, ist es ein großes Privileg, Ihm zu dienen. Wir schenken Ihm unser Talent, unsere Zeit und Mühe, unser Herz und unsere Vernunft. Die Chance, dies zu tun, ist etwas, für das man dankbar sein sollte und das man niemals verpassen sollte.
… Der Abend ist gekommen. Um halb acht ist es bereits dunkel. Tatjana, eine Ikonenmalerin, sucht nach einer großen Tasche.
„Wofür brauchst du sie?“ habe ich gefragt.
„Um die unfertige Ikone nach Hause zu bringen.“
„Bist Sie sicher? Willst du dich nicht ausruhen?“
„Ich habe heute Abend sowieso nichts anderes zu tun. Also werde ich Tee trinken und bis Mitternacht malen.“
Unser Leben geht weiter.
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Matushka Larisa Nezhbort